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Im Gespräch mit Andrea Schumacher

„Fünf Fragen an…“

Andrea Schumacher, Vizepräsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

Porträtfoto von Andrea Schumacher

Andrea Schumacher

Vizepräsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

„In diesen Zeiten erleben wir alle, wie wichtig die Motivation von Mitarbeitenden ist.“

Wie hat sich der Arbeitsalltag in Ihrer Institution konkret geändert?

Andrea Schumacher: Ich muss zugeben, dass uns die Corona-Pandemie vor neue, in dieser Form noch nicht dagewesene, Herausforderungen gestellt hat. Ich denke, so ist es jedoch den allermeisten gegangen. Am weitreichendsten waren die Veränderungen in zwei unserer zentralen Aufgabenbereiche: der Durchführung der Asylverfahren und der Sprachkurse, also den Integrationskursen und der berufsbezogenen Sprachförderung. Wie können Anhörungen oder Unterrichtseinheiten stattfinden, wenn Kontakte zum Schutz aller Beteiligten vermieden werden müssen? Dafür waren einige Anpassungen und Veränderungen nötig, insgesamt haben wir es aus meiner Sicht trotzdem sehr gut gemeistert.

Zwei Beispiele dazu aus dem Asylverfahren: Erstens haben wir die Asylantragstellung vorübergehend komplett auf ein Formularverfahren umgestellt, um an dieser Stelle Kontakte zu minimieren. Für Anhörungen zu den persönlichen Fluchtgründen der Menschen, die das Herzstück des Asylverfahrens darstellen, haben wir in unseren Außenstellen spezielle Räumlichkeiten geschaffen, die den infektionsschutzrechtlichen Vorgaben entsprechen.

Wie hat sich für Sie persönlich der Arbeitsmodus verändert, wie funktioniert Führung für Sie derzeit?

Andrea Schumacher: Im Laufe der vergangenen Monate hat man sich ja daran gewöhnt, Besprechungen hauptsächlich per Telefonschalte oder Videokonferenz durchzuführen. Das ist im Grunde bei einer Behörde mit vielen Außenstellen auch nichts Neues. Ich persönlich kann es mir aber auf Dauer nicht als einzige Möglichkeit vorstellen, denn für mich sind die persönlichen Kontakte enorm wichtig, gerade als Führungsinstrument. Mit Augenkontakt, Gestik oder Mimik vermitteln wir viel mehr als ausschließlich mit Sprache. Andersherum ist es für mich auch wichtig, solche Signale der Mitarbeitenden empfangen zu können. Am besten geht dies nur im persönlichen Gespräch.

Besonders bei der internationalen Zusammenarbeit sind persönliche Treffen unersetzlich, das merke ich nicht nur selbst, sondern höre es von vielen Mitarbeitenden. Der persönliche Austausch, insbesondere am Rande von Tagungen ist einfach ein anderer. Aber wir alle wissen, dass es derzeit nicht anders funktionieren kann. Ein wichtiger Aspekt von Führung war immer und bleibt weiterhin die Fürsorge für Mitarbeitende. Der Schutz von Mitarbeitenden hatte für mich schon immer eine hohe Priorität, das ist derzeit wichtiger denn je.

Gab es Überraschungen in den letzten Tagen und Wochen im Kontext dieser Veränderungen? Wo kommt Ihre Organisation besser mit der neuen Lage klar, als Sie gedacht hatten, wo vielleicht auch schlechter?

Andrea Schumacher: Wir haben die Zeit vor dem Lockdown genutzt und uns so gut es ging auf mögliche Situationen eingestellt. Die Überraschungen waren daher überwiegend positiver Natur: Wer hätte denn vorher gedacht, dass die Arbeit aus dem Home-Office so gut funktionieren kann? Wir haben frühzeitig für unsere Mitarbeitenden weitreichende Regelungen für Home-Office, Freistellungen oder aufgrund fehlender Kinderbetreuung geschaffen - alles, um Mitarbeitende bestmöglich zu unterstützen und zu schützen. Dazu haben wir viel Vertrauen in unsere mittleren Führungsebenen gelegt, die für die unterschiedlichsten Einzelfälle selbst über Lösungen entschieden haben.

Eine größere Überraschung habe ich dann doch erlebt: bei unseren Integrationskursen. Das Bundesamt koordiniert diese Kurse sowie die Berufssprachkurse bundesweit, mit dem Lockdown mussten auch die Kurse für mehr als 200.000 Menschen vor Ort eingestellt werden. Wir wurden oft gefragt, was denn unsere hierfür zuständigen Mitarbeitenden jetzt machen würden, und die Antwort ist auch überraschend: Sie arbeiten mehr als zuvor. Sie haben Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung für Kursträger und Lehrkräfte geschaffen, aber auch mit digitalen Angeboten dafür gesorgt, dass Teilnehmende das bislang Erlernte weiter anwenden können und nicht wieder verlernen. Das war und ist harte Arbeit, denn jetzt muss die Wiederaufnahme des Kursbetriebs mit völlig neuen Rahmenbedingungen organisiert werden.

Zur Person

Andrea Schumacher ist seit 2018 Vizepräsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Zuvor war die Juristin unter anderem als Referatsleiterin des Referates „Asyl, Migration und Außengrenzen“ in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU und der Referate „Internationale Zusammenarbeit zur Terroristenbekämpfung“ sowie „Internationale polizeiliche Zusammenarbeit, EU-Zusammenarbeit, Europol“ im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat tätig.

Als Kompetenzzentrum für Migration und Integration in Deutschland ist das BAMF nicht nur zuständig für die Durchführung von Asylverfahren und den Flüchtlingsschutz, sondern auch Motor der bundesweiten Förderung der Integration. Zur Bandbreite der Aufgaben gehört auch die Migrationsforschung.

Was ziehen Sie für Schlüsse aus diesen neuen Situationen und Konstellationen? Welche Impulse sind wertvoll, was sollte Ihre Organisation mitnehmen aus dieser Erfahrung?

Andrea Schumacher: In diesen Zeiten erleben wir alle, wie wichtig die Motivation von Mitarbeitenden ist. Und wie einfach es eigentlich ist, Mitarbeitende zu motivieren, wenn sie sich mit all ihren Ängsten und Sorgen ernst genommen fühlen, wenn sie merken, dass ihre Vorgesetzten sich für ihre Belange interessieren und diese bei Entscheidungen auch berücksichtigen. Wenn wir dies berücksichtigen, funktioniert Führung auch unter den derzeitigen Bedingungen sehr gut.

So hatten wir beispielsweise keine Probleme, Freiwillige zu finden, die für eine Zeit ihren Arbeitsplatz in die Bundesagentur für Arbeit verlegen, um dort bei der Bearbeitung von Anträgen auf Kurzarbeit zu helfen.

Langfristige Planungen mussten umgestoßen und von Grund auf neugestaltet werden, und das möglichst schnell, damit keine Lücken entstehen. Alle, die daran mitgearbeitet haben oder weiter daran arbeiten, ziehen eine enorme Motivation aus dieser Situation, obwohl die Arbeitsbelastung für diese Mitarbeitenden stark angestiegen ist. Ich sehe gerade diese Motivation als wichtigen Impuls, der jetzt hoffentlich eine ganz andere Bedeutung erhält.

Was ist Ihre Einschätzung, was passiert insgesamt mit der Verwaltung nach Beendigung des Lock-downs? Wie verändert sich die Arbeit bzw. wie sollte sie sich verändern?

Andrea Schumacher: Ich möchte gern alle positiven Erfahrungen und Impulse mitnehmen für die Zeit, in der alles wieder „normal“ laufen wird – auch, wenn wir uns jetzt noch nicht so ganz vorstellen können, wie diese „Normalität“ aussehen wird. Gerade für Verwaltungen ist es manchmal eine größere Herausforderung, alte Strukturen oder Hierarchien zu durchbrechen oder neue Ideen umzusetzen. Umso mehr müssen wir alle lernen aus dieser Situation und daraus, wie wir sie gemeistert haben.

Das berührt ganz unterschiedliche Punkte, zwei wichtige sind dabei sicherlich die Themen Digitalisierung einerseits und Home-Office andererseits. Das Bundesamt ist in der Verwaltung seit einigen Jahren Vorreiter in der Nutzung von IT-Lösungen. Aktuell etwa sind wir in der Finalistenrunde des eGovernment-Wettbewerbs. Die letzten Monate haben uns gezeigt, wie wir unsere Arbeit intern aber auch mit unseren Partnern extern noch stärker durch Digitalisierung unterstützen können.

Das betrifft etwa auch das Homeoffice. Natürlich kann eine Behörde nicht alle Arbeitsprozesse in den digitalen Raum verlegen und schon gar nicht eine, die über Asylverfahren entscheidet und Integration fördert. Aber es hat sich gezeigt: Hier geht mehr, als zunächst vermutet und es geht gut. Vielen Mitarbeitenden kommt die Möglichkeit sehr entgegen, Arbeitszeiten und ihre Lebensplanung besser unter einen Hut zu bringen. Das zeigt sich auch an den Ergebnissen.

Wir werden jetzt überlegen müssen, was wir davon auch nach der Corona-Krise beibehalten können. Ich höre jetzt aber auch oft die Vorfreude auf das erste „richtige“ Meeting nach dem Lockdown. Hier müssen wir jetzt die richtige Mischung finden, dann werden Mitarbeitende mit Freude und hoher Motivation ihrer Arbeit nachgehen – mal von Zuhause, mal gemeinsam mit dem Team.

Wir danken Ihnen für das offene Gespräch!

19. Juni 2020

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